Boris Goudenow - Presseschau

Schönheit historischer Klänge

Barockmusik mit authentischen Instrumenten kämpft um Unterstützung

Von Torsten Gerber

Was in den 50er-Jahren als "akademisches Experiment" begann, ist heute längst selbstverständlicher Bestandteil des kulturellen Lebens: die Aufführung barocker Musik mit authentischen Instrumenten des 17. und 18. Jahrhunderts. Doch die Beliebtheit der so genannten "Alten Musik" beim Publikum steht - zumindest in Hamburg - im krassen Gegensatz zu den Studienmöglichkeiten. Wer zum Beispiel Traversflöte oder Barock-Violine professionell erlernen möchte, ist an der staatlichen Musikhochschule fehl am Platze.

Das bestätigt Gisela Gumz, die dort Cembalo, Clavichord und modernes Klavier unterrichtet, mit großem Bedauern: "Vor einigen Jahren sollte hier ein Studiengang ‚Alte Musik' eingerichtet werden, der aber gleich wieder gestrichen worden ist - aus Kostengründen, wie es hieß." Zurzeit gebe es lediglich zwei Dozenten für Blockflöte, einen auf barocken Belcanto spezialisierten Gesangslehrer und einen Kollegen, der Generalbass für Fortgeschrittene unterrichtet. Für die Viola da gamba sei zwar ein Dozent vorhanden, er würde aber faktisch nicht zur Verfügung stehen: "Der Kollege lebt in Würzburg und ist so gut wie nie an der Elbe", sagt die Cembalo-Professorin.

Ihre Bemühungen, selbst ein kleines Streicher-Ensemble mit historischen Instrumenten an der Hochschule aufzubauen, stießen nicht gerade auf große Begeisterung: "Bei den ‚modernen' Streichern gibt es da eine starke Anti-Haltung." Für die Zukunft wünscht sich Gisela Gumz daher eine bessere Zusammenarbeit mit der Hochschule in Bremen. Dort nämlich, wie zum Beispiel auch in Köln, blüht die Alte-Musik-Szene und bietet umfangreiche Ausbildungsmöglichkeiten.

Wer nun partout in der Hansestadt studieren will, dem bleibt als Ausweg nur das Konservatorium, das als private Einrichtung allerdings Studiengebühren erhebt. Dafür wird in Sachen Barockmusik aber auch deutlich mehr geboten als an der Musikhochschule: "Wir haben seit langem einen Fachbereich für Alte Musik und können unseren Studenten eine relativ breite Instrumentenpalette anbieten", sagt Leiter Eberhard Müller-Arp. So gibt es etwa ein Gamben-Consort und neben Gesang, Laute, Barock-Oboe, Traversflöte, Barock-Posaune und Dulzian wird auch Barock-Violine unterrichtet. Letztere von Annegret Siedel, die außerdem seit sechs Jahren als freischaffende Musikerin regelmäßig durch Europa tourt.

Da ist Vielseitigkeit gefragt, auch beim Instrumentarium. Die 38-Jährige, die unter anderem bei Altmeister Nikolaus Harnoncourt in Wien studiert hat, nennt deshalb nicht weniger als acht barocke Streichinstrumente ihr Eigen: fünf Violinen aus dem 17. beziehungsweise frühen 18. Jahrhundert, dazu gesellen sich Violino piccolo, Viola d'amore und Barock-Bratsche. Das reicht fast für ein kleines Ensemble, ist aber keineswegs ein überflüssiger Luxus, wie die Musikerin klarstellt: "Um Musik des Frühbarock stilecht zu interpretieren, braucht man nun einmal andere Instrumente als für spätbarocke Musik." Und Standardisierung war den damaligen Instrumentenbauern ohnehin fremd. "Vor allem die Geigenbauer haben damals noch viel herumexperimentiert", erklärt Annegret Siedel.

Instrumentalunterricht ist aber nicht alles, was das Konservatorium zu bieten hat. Müller-Arp: "Flankierend gibt es bei uns zusätzlich begleitende Seminare zu den musiktheoretischen Grundlagen." Kurse in Aufführungspraxis und Workshops bereichern den Studienplan zusätzlich, im laufenden Semester wird beispielsweise ein Interpretationskurs "Hamburger Opernarien um 1700" angeboten. Immerhin stand auf dem Gänsemarkt zwischen 1678 und 1738 das erste deutschsprachige Opernhaus, an dem Georg Friedrich Händel seine ersten Erfolge feierte.

Eberhard Müller-Arps Traum ist, in Vernetzung mit anderen Einrichtungen ein Institut zur Pflege der ebenso reichen wie wenig bekannten Hamburger Musikgeschichte zu gründen: "Alte Musik gehört einfach zum kulturellen Profil auch dieser Stadt, und ich würde mir deshalb eine stärkere Förderung wünschen."

Jemand, der hier seit fast 20 Jahren regelmäßig Alte Musik zur Aufführung bringt, ist Rudolf Kelber, Kantor an St. Jacobi und Herr über das größte und "lauteste" historische Instrument der Hansestadt - die 1689 bis 1693 erbaute Arp-Schnitger-Orgel. Mit seinem aus 20 Stamm-Musikern bestehenden Cythara-Ensemble hat der engagierte Kantor unter anderem als erster in Hamburg die Bach-Oratorien "historisch" aufgeführt. "Ich strebe Sinnlichkeit ohne die empordrückende Brillanz des modernen Orchesters an", erläutert Kelber sein Klangideal.

Um künftig auch die Musik der Klassiker Haydn und Mozart stilgerecht interpretieren zu können, will der Jacobi-Kantor jetzt das "Hamburg Classical Orchestra" ins Leben rufen. "Leider fehlt es zurzeit an den nötigen Mitteln", klagt Kelber und hofft auf die Spendenfreudigkeit hanseatischer Mäzene.

Welt am Sonntag, 6. Januar 2002